Unser Wunderkind – so nennt Juliane Dick ihren Sohn Bennett liebevoll. Und es grenzt wirklich an ein Wunder, dass der kleine Mann heute gesund und munter ist. Denn Bennett muss nach einer komplizierten Operation an seinem Herzen wiederbelebt werden – sechs Monate nach seiner Geburt wird ihm zum zweiten Mal das Leben geschenkt.
Fallot’sche Tetralogie: Mit vier Herzfehlern erblickt Bennett das Licht der Welt
Bis zur 21. Woche verläuft die Schwangerschaft von Juliane Dick ohne Probleme und unauffällig – die werdenden Eltern freuen sich unbändig und können es kaum erwarten, ihren Sohn endlich zu begrüßen. Doch eine Routineuntersuchung ändert alles: Der Frauenärztin fallen im Ultraschall Anomalien am Herzen des Kindes auf und sie überweist die Familie umgehend in das Zentrum für pränatale Medizin Leipzig zur Kontrolle. Dort wird festgestellt, dass Bennett an einem Herzfehler leidet – Fallot’sche Tetralogie lautet die niederschmetternde Diagnose, eine komplexe angeborene Fehlbildung, bei der die Herzscheidewand und die großen Blutgefäße defekt sind.
„Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wurde auch noch ein Darmverschluss entdeckt“, erinnert sich Juliane Dick. Um ihr ungeborenes Kind keinem unnötigen Risiko auszusetzen, lässt sie sich lange vor dem errechneten Termin in die Uniklinik Leipzig einweisen – und dort erblickt Bennett dann in der 38. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt.
„Es war eine unkomplizierte Entbindung. Zwar letzten Endes doch per Kaiserschnitt, weil Bennett nicht so richtig rauswollte, aber er musste nicht beatmet werden, seine Herztöne waren kräftig und seine Größe und das Gewicht absolut altersentsprechend.“ Drei Tage nach der Geburt wird der Darmverschluss in einem minimalinvasiven Eingriff beseitigt und zwei Wochen später dürfen die Eltern ihren neugeborenen Sohn mit nach Hause nehmen.
Ein halbes Jahr Schonzeit vor der großen Operation
„Die ersten gemeinsamen Monate zu Hause waren unglaublich intensiv und wichtig für uns, um als Familie zusammenzuwachsen. Bennett war neugierig auf uns und wir auf ihn – da entstand eine ganz starke Verbindung, die uns viel Kraft gegeben hat“, blickt Juliane Dick auf diese Zeit zurück.
Bennett entwickelt sich wie ein "normaler" Säugling und macht tolle Fortschritte, aber da ist eben auch immer diese Angst: „Wir haben jeden Moment voll ausgekostet und jeden Morgen, wenn unser Sohn uns strahlend angelacht hat, haben wir fast vergessen, dass er diesen Herzfehler hat und noch eine schwierige Operation auf ihn wartet.“ Die Eltern leben von Tag zu Tag, immer in Alarmbereitschaft, dass der Anruf für den OP-Termin aus der Klinik kommt. Und der kommt Anfang Oktober.
Dunkle Stunden nach der Operation am offenen Herzen
„Der Moment, als wir Bennett an der Tür zum OP im Kinderherzzentrum Leipzig abgeben musste, war schrecklich. Ich habe immer noch seinen Blick im Kopf, er hat uns noch mal angesehen und gegrinst von Ohr zu Ohr. Dann schloss sich die Tür und wir standen da wie nackt. Hilflos.“ Die Zeit der Operation kommt den Eltern schier endlos vor – erinnern kann sich Juliane Dick nur noch schemenhaft daran: „Das ist wie im Nebel. Da war einfach eine riesengroße Leere und meine Gedanken waren nur auf das Handy fokussiert, um den erlösenden Anruf nicht zu verpassen.“
Acht Stunden bangen die Eltern, bis endlich die Nachricht kommt, dass Bennett die Operation überstanden hat und alle vier Herzfehler behoben wurden. „Wir durften dann gleich zu ihm auf die Intensivstation – und sahen unser Kind mit einem Riesenschnitt auf dem Brustkorb, um ihn herum piepende Geräte und leuchtende Monitore. Ein total surrealer Anblick. Als Bennett zu sich kam, habe ich meinen Finger in seine kleine Hand gelegt, ihn gestreichelt und mit ihm gesprochen, damit er spürt, dass ich bei ihm bin.“
Was dann passiert, wird Juliane Dick nie mehr in ihrem Leben vergessen: Bennetts kleiner Körper bäumt sich plötzlich auf, verkrampft sich und ein schriller Alarm geht los. Sofort ist das Ärzteteam vor Ort: Weil sein Herz-Kreislauf-System versagt, muss er umgehend reanimiert werden. 90 Minuten lang kämpfen die Ärzte mit aller Kraft, um ihn ins Leben zurückzuholen. Sie öffnen den Brustkorb erneut, um sein kleines Herzchen wieder zum Schlagen zu bringen und schließen ihn an die Herz-Lungenmaschine an, die alle wichtigen Funktionen für ihn übernimmt. Vier Tage liegt Bennett im künstlichen Koma, lebt nur durch die Maschinen.
„Trotzdem war das immer noch mein Kind, das da im Bett lag. Auch wenn keine Reaktion kam, wenn ich ihn berührt habe, mit ihm gesprochen habe. Und uns niemand sagen konnte, wie Bennett die Wiederbelebung überstanden hat und welchen Schaden sein Gehirn dabei genommen hat. Doch trotz aller Angst habe ich meinen Sohn nie aufgegeben, mir nie den Gedanken erlaubt, was ist, wenn …! Ich war mir immer sicher, er packt das.“ Und er packt es!
Nach der Reanimation kämpft sich Bennett zurück ins Leben
Mit einem unbändigen Lebenswillen nimmt sein Körper langsam wieder die Arbeit auf und überrascht damit selbst gestandene Mediziner: Denn nur in den wenigsten Fällen geht eine Reanimation so gut aus. Rund um die Uhr sind die Eltern bei ihrem Sohn und begleiten das Wunder seiner Genesung auf Schritt und Tritt. „Es war wirklich überwältigend zu sehen, wie sehr dieser kleine Mensch Lust aufs Leben hat.“
Mit jedem Tag wird Bennett kräftiger, er bekommt seine ersten Zähnchen und entwickelt sich zu einem gesunden Baby. Nach vier Wochen auf der Intensivstation und zwei Wochen auf der normalen Station darf die Familie dann endlich wieder nach Hause. „Wir haben im Kinderherzzentrum so lange in einem sicheren Kokon gelebt, dass wir schon Respekt davor hatten, mit Bennett die Klinik zu verlassen. Die 14-tägigen Kontrolltermine in der Kinderkardiologie waren daher wie eine Art Sicherheitsnetz für uns.“
Ein mutiger junger Mann mit einem starken Herzen
Heute muss Bennett nur noch einmal im Jahr zur Kontrolle ins Kinderherzzentrum Leipzig. Er ist fast acht – und kommt bald in die dritte Klasse. Ein fröhlicher und neugieriger Junge, der Tiere liebt, sich für die Natur interessiert und gerne mit Mama Pilze sammelt. Der auf Bäume klettert, tobt und genauso wie seine Altersgenossen auch mal mit einer Schürfwunde am Knie vom Spielen nach Hause kommt.
Ein ganz normales Kind mit vielen Plänen: Polizist möchte Bennett später mal werden. Oder Rettungssanitäter – festgelegt hat er sich bei der Berufswahl noch nicht. Nur die große Narbe auf seiner Brust erinnert an die dunklen Stunden und seinen schweren Start ins Leben. Warum er diese Narbe hat, weiß Bennett ganz genau, er hat schon früh danach gefragt und seine Eltern haben ihm erklärt, wie und warum sein Herz damals repariert werden musste.
„Bennett weiß auch, dass er in zwei Jahren noch einmal operiert werden muss, um die Pulmonalklappe zu ersetzen. Aber das macht ihm keine Angst, im Gegenteil. Seine Lebensbejahung ist so ansteckend, dass wir gemeinsam voller Zuversicht nach vorne sehen.“
Reanimation erforschen – Herzkinder retten
Warum gerade bei Neugeborenen und Kindern mit angeborenen Herzfehlern öfter ein Herz-Kreislauf-Versagen auftritt und welche Auswirkungen eine Reanimation auf ihre körperliche und kognitive Entwicklung hat, wurde bisher in Deutschland noch nicht ausreichend untersucht. Deswegen finanzieren wir eine Studie am Herzzentrum Leipzig, in der alle relevanten Daten und Risikofaktoren erforscht, zusammengetragen und ausgewertet werden, um langfristig die Überlebens- und Entwicklungschancen der kleinen Herzpatienten zu optimieren.