„Wir haben ein Spenderherz“ – vier Worte, die das Leben von Melisa und ihrer Familie für immer verändern. Auf die sie viele Jahre gewartet haben. Jahre, in denen Melisa mit einem schweren Herzfehler lebt, Operationen und Krankenhausaufenthalte ihr ständiger Begleiter sind – und sie um ihr Überleben kämpft.
Ein Herz, das früh kämpfen muss
Melisas Kampf ums Leben beginnt direkt nach der Geburt: „Sie schrie viel, plötzlich waren ihre Lippen blau – und manchmal auch ihr ganzes Gesicht“, erinnert sich ihre Mama Gülhan an die ersten Stunden mit ihrer neugeborenen Tochter. Aber die Untersuchungen und das EKG zeigen nichts Auffälliges – die Ärzte geben Entwarnung. Die Monate vergehen. Monate, in denen Gülhan immer wieder ungewöhnliche Symptome bemerkt: „Melisa schwitzte nachts sehr stark.“ Die Sorge der Eltern wächst mit jedem Tag – immer wieder drängen sie ihre Kinderärztin, dass kontrolliert wird, woher die nächtlichen Schweißattacken kommen. Doch erst als Melisa neun Monate alt ist, wird endlich die Ursache gefunden: Bei einer Vorsorgeuntersuchung fallen der Ärztin erstmals Geräusche am Herzen auf und sie überweist die Familie umgehend an die Kinderkardiologie am Herzzentrum der Charité. Dort wird Melisas kleines Herz komplett durchgecheckt. Nach dem EKG und der Echokardiographie steht fest: Sie leidet an einer Kardiomyopathie, einer angeborenen Erkrankung, bei der sich der Herzmuskel zunehmend verdickt, sodass das Herz nicht mehr richtig pumpen kann. Ein Schock für Gülhan und ihren Mann Said: „Plötzlich stand da diese schreckliche Gewissheit im Raum: Unser Baby hat einen schweren Herzfehler.“
Zwischen Hoffnung und Verzweiflung
Das Wissen, dass die Erkrankung nicht heilbar ist und ihre Tochter irgendwann ein neues Herz brauchen wird, lastet auf den Eltern. In den ersten Jahren versuchen die Ärzte zwar, Melisas Zustand mit Medikamenten zu stabilisieren, da sie noch zu klein für eine Transplantation ist. Aber die Erkrankung wirkt sich immer stärker aus – und macht ein normales Kinderleben für Melisa fast unmöglich: Mit zwei Jahren ist sie oft so erschöpft, dass sie kaum in der Lage ist, einfache Dinge wie einen Ball zu werfen.
„Es brach uns das Herz, unsere Tochter so zu sehen.“ Als Melisa drei ist, wagen die Herzspezialisten einen ersten Eingriff: Sie entfernen behutsam Herzmuskelgewebe, um die Pumpleistung zu verbessern. Doch die Hoffnung auf eine langfristige Verbesserung zerschlägt sich schnell, denn das Gewebe wächst wieder nach. „Es war hart für uns, mitanzusehen, wie unser Kind wieder schwächer wurde“, erzählt Gülhan.
Das gleiche Schicksal
Und dann trifft die Familie ein weiterer Schlag. Auch bei Melisas Papa wird ein verdickter Herzmuskel festgestellt. Die Diagnose bringt eine traurige Erkenntnis ans Licht – eine, die für Said nur schwer zu ertragen ist. Vermutlich hat er die Erkrankung an seine Tochter vererbt. Ein Blick in die Familiengeschichte macht das Ausmaß deutlich: Saids eigener Vater starb bereits in jungen Jahren an plötzlichem Herztod, und auch sein Bruder stand auf der Warteliste für ein Spenderherz, bevor er schließlich verstarb.
Der genetisch bedingte Herzfehler belastet sowohl Said als auch Melisa schwer – bei beiden verringert sich die Funktion des Herzens von Jahr zu Jahr mehr. Besonders Said spürt die Folgen: Immer öfter bricht er zusammen, teils ohne Vorwarnung, sogar auf offener Straße. Ihm wird ein Herzschrittmacher mit Defibrillator eingesetzt, um bei lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen einzugreifen. Auch Melisas Zustand entwickelt sich zunehmend beängstigend. „Ihr Herz wurde immer größer und dicker, bis es kaum noch richtig pumpen konnte“, schildert Gülhan die Entwicklung. Schließlich erhält auch Melisa im Alter von nur neun Jahren einen Herzschrittmacher – genau wie ihr Vater. Für Said, der mit Schuldgefühlen kämpft, ist das eine zusätzliche Bürde: Das Drama seiner Familie scheint sich auf schmerzhafte Weise zu wiederholen.

Ein schwerer Stat ins Leben: Von Anfang an muss Melisas Herz kämpfen.

Der erste große Eingriff: Mit zwei Jahren wird bei Melisa Herzmuskelgewebe entfernt.

Leben mit einem schweren Herzfehler. Zwischen Hoffen und Bangen. Zwischen Alltag …

… und Klinik. Immer wieder braucht Melisas Herz Unterstützung, damit es richtig pumpen kann.
Ein Kunstherz als Zwischenlösung
Fast zwei Jahre geht alles gut. Doch dann erreicht Melisa einen kritischen Punkt: „Ich erinnere mich genau an den Tag. Melisa kam aus der Schule, sie war ganz schlapp und ihr Herz schlug wahnsinnig schnell“, erinnert sich ihre Mutter. Sofort fahren sie in die Klinik. Gerade noch rechtzeitig, denn Melisas Herz versagt nahezu vollständig, sie wird auf die Hochdringlichkeits-Liste für Spenderherzen gesetzt. Um sie am Leben zu halten, entscheiden die Herzspezialisten, ihr ein Kunstherz – das sogenannte Berlin Heart – einzusetzen, um ihr geschwächtes Herz zu entlasten und die Wartezeit zu überbrücken. Monatelang liegt Melisa auf der Intensivstation, wird vorübergehend sogar in ein künstliches Koma versetzt. „Es war so schlimm, sie dort liegen zu sehen. Zwischen Leben und Tod. Nicht zu wissen, wie es weitergeht und wann ein Herz für sie gefunden wird“, sagt Gülhan.
Auch Said wartet zu dieser Zeit im Krankenhaus auf ein Spenderorgan. „Es war unglaublich belastend.“ Der ständige Spagat zwischen der Klinik, wo Mann und Kind ums Überleben kämpfen, und dem Zuhause, wo ihre ältere Tochter Ceylin ebenfalls ihre Aufmerksamkeit braucht, zehrt zunehmend an ihren Kräften. „Ohne die Unterstützung meiner Schwiegermutter, die extra aus der Türkei angereist ist, hätte ich das alles nicht geschafft“, sagt sie dankbar. Die Familie lebt von Tag zu Tag, getragen von der Hoffnung auf ein Spenderherz – aber auch mit dem Wissen, dass dieses Geschenk mit einem großen Verlust für eine andere Familie verbunden ist. „Dieser Gedanke hat uns oft fast zerrissen“, sagt Gülhan.
Das Doppelherz-Wunder
Im Herbst 2022 geschieht dann das Unfassbare. Erst erhält Said die Nachricht, dass ein Spenderherz für ihn gefunden wurde. Die Operation verläuft erfolgreich, und er erholt sich überraschend schnell. „Es ist, als hätte das Herz schon immer zu mir gehört“, sagt er heute. Und nur einen Monat später ist auch für Melisa ein neues Herz da. Anders als bei ihrem Vater sind die Transplantation und der Weg der Heilung bei ihr aber alles andere als einfach: Ihr Körper will das neue Organ nicht annehmen, kämpft mit Infektionen und weiteren Komplikationen.
Wochenlang liegt das Mädchen auf der Intensivstation, mit aller Kraft kämpfen die Ärzte um ihr Leben. Sie wird noch einmal ins künstliche Koma versetzt und an die ECMO und die Dialyse angeschlossen. „Es sah wirklich so aus, als würden wir sie verlieren“, blickt Gülhan zurück. „Ich habe in dieser Zeit so oft geweint, aber Melisa hat nicht aufgegeben: Irgendwann hat sie sich entschieden, dass sie mit diesem neuen Herzen leben will.“

Warten auf ein Spenderherz: Ein Kunstherz überbrückt die Zeit bis zur Transplantation.

Familienschicksal: Melisas Papa Said lebt mit dem gleichen Herzfehler. Und auch er braucht ein neues Herz.

Ein langer Weg: Mit ihrem neuen Herzen kämpft sich Melisa langsam zurück ins Leben.

Ein zweite Chance: Melisa genießt ihre neue Selbstständigkeit und schaut voller Zuversicht in die Zukunft.
Zurück ins Leben mit einem neuen Herzen
Für Melisa beginnt nach der Transplantation ein langer Prozess der Genesung. Mit ihren 11 Jahren muss sie das Leben von Grund auf neu erlernen: laufen, sprechen und sogar essen. Doch mit einer außergewöhnlichen Willensstärke und der liebevollen Unterstützung ihrer Familie findet sie ihre Kraft wieder – und ihren Weg zurück ins Leben. Heute, fast zwei Jahre später, ist sie im Einklang mit ihrem neuen Herzen. Sie geht wieder zur Schule, trifft sich mit Freunden und genießt ihre neu gewonnene Selbstständigkeit. „Es ist so schön, endlich ganz normale Dinge selbst tun zu können, ohne Hilfe von anderen. Wie meine Schultasche allein zu tragen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Wir leben jetzt das Leben, von dem wir so lange nur träumen konnten“, bestätigt ihr Papa Said.
Für die ganze Familie waren die vergangenen Jahre eine emotionale Achterbahnfahrt, die sie für immer prägen wird. „Wir sind so dankbar für diese zweite Chance“, sagt Gülhan, „doch unser Glück ist untrennbar mit dem Schmerz einer anderen Familie verbunden.“ In einem bewegenden Brief haben sie ihren tiefen Dank an die Spenderfamilien ausgedrückt – und schließen sie in jedes ihrer Gebete ein. „In meiner Brust und in der meiner Tochter schlägt das Herz eines anderen Menschen. Dieses Geschenk des Lebens ist unermesslich“, betont Said. „Und es verpflichtet uns, ihm gerecht zu werden – jeden Tag, mit ganzer Kraft, voller Demut und unendlichem Respekt.“
Kleine Herzen unter Kontrolle
Die größte Herausforderung bei Transplantationen ist die Gefahr einer möglichen Abstoßung. Engmaschige Kontrollen und Untersuchungen gehören daher zum Alltag herztransplanierter Kinder, damit mögliche Komplikationen frühzeitig erkannt werden können. Um die Überwachung und Nachsorge für die kleinen Patienten schonender zu gestalten, fördert die Stiftung KinderHerz in Berlin ein zukunftsweisendes Projekt: Statt belastender Gewebeproben ermöglicht die MRT-Technologie eine präzise und nichtinvasive Kontrolle der Herzfunktion. Die enge Zusammenarbeit mit Kliniken und Kardiologen hilft, die medizinische Langzeit-Versorgung nachhaltig zu verbessern und die Risiken wiederholter Eingriffe zu minimieren – und Kinder wie Melisa die beste Chance auf ein langes, unbeschwertes Leben zu geben.